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Wer mit wem
Gruß vom historischen Meeresgrund: Cátedra und Buchmesse in Havanna


»Germany wunderbar« lautet eine Plakatparole, »Natürlich Österreich« eine andere und dazwischen die »Angst vor Veränderung?«-Werbeposter der junge Welt, auf denen Fidel Castro ein Gewehr in die Höhe reckt. So sieht es aus in der Cátedra Humboldt, einem Treffpunkt für Leute, die deutsch sprechen oder es lernen wollen, mitfinanziert von der Kuba-Soli-Bewegung.

Die Kubaner hier werden unterrichtet von Praktikanten und Austauschstudenten aus Deutschland und Österreich. Der deutsche Staat zahlt nichts, der österreichische gewährt den Deutsch-Unterrichtern etwas Unterstützung. Literatur wird anderswo studiert, in der Cátedra geht es um basale Sprachkenntnisse, das heißt um Kommunikation statt Wissenschaft.

Das Haus hat einen lauschigen, großen, schönen Balkon. Je weiter man reingeht, desto mehr sieht es aus wie das Handy in meiner Hosentasche, also ziemlich abgerockt, wie die meisten Häuser in Havanna. Noch fertiger wirken manche Bücher in den Regalen, mit Stempeln drin wie: »Gewerkschaftsbibliothek. Botschaft der DDR in Havanna«. Ein Gruß vom historischen Meeresgrund, so sehen zumindest die Bücher aus. Aber es gibt natürlich auch viele optisch schnieke Werke: merkwürdigerweise eine Menge Martin Walser, aber auch Günther Anders, Herbert Marcuse, Thomas Bernhardt, Heinrich Heine, Peter Härtling – und Ernest Bornemann: »Lexikon der Liebe A–K«. Das Buch »Keine Angst vor niemand« aus der Edition Nautilus, in dem Daniel Dubbe und Gabriele Rollnik über die Bewegung 2. Juni sprechen, ist da. Der ganze Popliteraturkrempel, der das BRD-Feuilleton in den Nullerjahren in Atem gehalten hat, fehlt vollständig und Uwe Tellkamp zum Glück auch. Denn, liebe Genossinnen und Genossen, sonderlich wichtig war das eben nicht. Embargo plus Sonderperiode ist gleich: die Beschränkung aufs Wesentliche.

Am Montag las die Berliner Schriftstellerin Dorle Gelbhaar in der Cátedra, Mitveranstalter war das Berliner Büro Buchmesse Havanna. Auf Wunsch des Publikums las Gelbhaar in Slow-Motion-Deutsch, damit man auch alles verstand. In zwei Stories skizzierte sie einen Gestern-Heute-Effekt für Ostdeutschland. Eine Geschichte hieß »Marzahn-Schmerzen« und handelte sozusagen von der Grammatik des Begehrens junger sogenannter Aussiedler. Von Mädchen träumen und Nazis begegnen. Die zweite Geschichte verhandelte eine tragikomische Dreierkiste im »Kabelwerk Oberspree« zwischen zwei weiblichen Angestellten und ihrem Chef, dem »dicken Köhler«. Die eine ist im Betrieb die »Herrscherin über das Material« und probiert zu Hause Unterwäsche vor dem Spiegel aus. Das hört man und schaut hoch an die Decke der Cátedra, an der Stahlträger durchschimmern. Alles endet in einem typischen DDR-Garten. Wer mit wem – der Engtanz enthüllt alles.

Anschließend trug Madeleine Porr aus dem aufklärerisch gedachten ­Science-Fiction-Roman »Das Tahiti Projekt« von Dirk C. Fleck vor. Auf dem Buchrücken steht groß gedruckt: »Ist die Welt noch zu retten?« Für Fleck, früher Redakteur von Tempo und Woche, kein Problem, man muß nur ein paar visionäre Umwelttechnologien durchsetzen. Macht Reiskleie zum Straßenbelag und Bambus zu Kleidungsstücken! Porr hat Flecks Buch, eine Art Auftragsarbeit für die Ökologiebewegung, ins Spanische übersetzt und sucht dafür einen Verlag in Kuba. Ansonsten propagiert sie die Macht des Amarant-Korns, aus dem sie »fröhliche Brote« backen möchte, um die Klimakatastrophe mit Hilfe von »Kreislaufsystemen« direkt anzugehen. Fehlt nur noch der Geldgeber.

Ökonomie, immer wieder Ökonomie. Die BRD verlangte von Kuba, alle Schulden, die das Land bei der DDR hatte, zurückzuzahlen. Auch wenn Kuba nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus wirtschaftlich praktisch bei null beginnen mußte. Darauf wies Steffen Niese hin, der in der Cabaña, der Festung über der Stadt, in der die Buchmesse Havanna stattfindet, sein Buch »Die deutsche Kuba-Politik seit 1990« vorstellte, präsentiert von Cuba Si. Es ist seine Abschlußarbeit in Politikwissenschaft, die bei PapyRossa erschienen ist. Zu dem Thema gibt es bislang noch nichts.

Auch Porr und Gelbhaar haben in der Cabaña vorgetragen. Gelbhaar las aus ihrem jüngsten Werk »Anders und die Duisburger Mafia«, erschienen bei Leporello. Es ist ihr zweiter Krimi über den ehemaligen DDR- und heutigen BRD-Polizisten Jürgen Anders. Toll war, daß die kubanische Übersetzerin das Wort »Ausbeutung« nicht verstand.

junge Welt Christof Meueler
Junge Welt, 19.02.2010









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